Die Gründung des „Musischen Zuges“
Zu Beginn des Schuljahres 1953/54 wurde am Charlottenburger Gymnasium, dem späteren Erich-Hoepner-Gymnasium und dem heutigen Heinz-Berggruen-Gymnasium, ein gymnasialer Schulzweig gegründet, den es bis dahin nirgends in Deutschland gegeben hatte: der Neusprachliche Zug Musischer Richtung. Dieser sogenannte „Musische Zug“ wurde bald das Vorbild für viele andere Schulen.
Musischer Schwerpunkt – kein Musisches Gymnasium
Mit dem Musischen Zug knüpften der damalige Direktor Dr. Klaus Rudolphi und der Musiklehrer Helmut Kemnitz an Ideen der Reformpädagogik der 20er Jahre an. Bewusst wollten sie das Erich-Hoepner-Gymnasium von der Institution eines Musischen Gymnasiums absetzen. Der Musische Zug sollte keine vorberufliche Ausbildung bieten, sondern genau wie z.B. ein Mathematisch-naturwissenschaftlicher oder ein Altsprachlicher Zug in erster Linie eine umfassende Allgemeinbildung vermitteln, nur eben mit einem musischen Schwerpunkt.
Musischer Unterricht damals – heute noch modern
Der musische Schwerpunkt sollte sich nicht auf die traditionellen musischen Fächer beschränken, sondern alle Fächer durchdringen. Unter einem musischen Unterricht verstand man einen Unterricht, „der die selbsttätigen Kräfte des jungen Menschen mobilisiert und schwungvoll und phantasievoll zur Entfaltung bringt“ (Kemnitz: Musische Schule. In: Hans Fischer [Hg.]: Handbuch der Musikerziehung, Berlin 1964). In diesem Zusammenhang wurde für alle Fächer die Forderung nach „Arbeitsunterricht“ erhoben. Damit war Unterricht gemeint, den man heute als Projektunterricht und forschendes Lernen bezeichnen würde.
Vorbild für andere Schulen
Nach dem direkten Vorbild des Charlottenburger Gymnasiums bzw. des späteren Erich-Hoepner-Gymnasiums kam es in den 50er Jahren zur Einrichtung weiterer Schulen mit Musischem Zug in Mannheim, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart. In West-Berlin blieb das Erich-Hoepner-Gymnasium – abgesehen von Schulversuchen am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium und am Berta-von-Suttner-Gymnasium – das einzige Gymnasium mit Musischem Zug.
Die Schulische Organisation des Musischen Zuges
Neben dem Musischen Zug gab es am Charlottenburger Gymnasium bzw. am späteren Erich-Hoepner-Gymnasium einen Altsprachlichen und einen Neusprachlichen Zug. 1960, im Jahr des ersten Abiturs im Musischen Zug, bildeten die sogenannten „Musen-Schüler“ ein Drittel der gesamten Schülerschaft. Die übrigen besuchten vorwiegend den Altsprachlichen, der Rest den Neusprachlichen Zug.
Wer konnte in den Musischen Zug eintreten?
Der Musische Zug konnte nur von Schülerinnen und Schülern besucht werden, die seit der 5. Klasse Englischunterricht hatten. Wurde als Schwerpunkt „Musik“ gewählt, so war ein Instrument zwar erwünscht, eine Aufnahmeprüfung wurde jedoch nicht durchgeführt.
Das Unterrichtsangebot im Musischen Zug
Das Unterrichtsangebot im Musischen Zug für die Fächer Musik und Bildende Kunst entsprach ungefähr dem einer heutigen Schule mit Wahlpflichtfach, Profilkurs und Leistungskurs für diese Fächer. In der 7. und 8. Klasse wurden Musik und Bildende Kunst jeweils zweistündig unterrichtet. Zu Beginn der 9. Klasse mussten sich die Schülerinnen und Schüler entscheiden, welches der beiden Fächer sie intensiv weiterbetreiben wollten. Bis zur 11. Klasse war nun nämlich in einem der Fächer zusätzlich zum zweistündigen Pflichtunterricht eine Arbeitsgemeinschaft zu belegen. Die Arbeitsgemeinschaften waren dreistündig und entsprachen inhaltlich dem heutigen Wahlpflichtfach. In der 12. und 13 Klasse schließlich wurde Musik bzw. Bildende Kunst 5-stündig unterrichtet.
Das Abitur im Musischen Zug
Absolute Novität für eine allgemeinbildende Schule war, dass im Abitur von den Schülerinnen und Schülern des Musischen Zuges eine Kunst- bzw. eine Musikklausur geschrieben werden musste. Diese dauerte 5 Stunden und bestand im Fach Musik aus einem Hördiktat, einer Tonsatzaufgabe und entweder einer Komposition oder einer Werkanalyse.
Das Ende des Musischen Zuges
Mit den Reformen der 70iger Jahre, speziell mit der Einführung des Wahlpflichtfaches und der Oberstufenreform, verlor das Erich-Hoepner-Gymnasium innerhalb West-Berlins seine Einzigartigkeit, da nun auch an anderen Schulen das Wahlpflichtfach und Leitungskurse für Musik und Bildende Kunst eingerichtet wurden.
Das heutige Schulprofil des Heinz-Berggruen Gymnasiums
Das Erich-Hoepner-Gymnasium bzw. das heutige Heinz-Berggruen-Gymnasium blieb allerdings bis heute eine Besonderheit, da hier sowohl Musik als auch Bildende Kunst gleichermaßen schwerpunktmäßig unterrichtet werden. Außerdem gibt es nur am Heinz-Berggruen-Gymnasium die Möglichkeit, Griechisch bzw. Latein mit Musik bzw. Bildender Kunst als Leistungskurs zu kombinieren. Vor allem bewahrte sich die Schule aber ein eigenes Profil mit ihren vielfältigen künstlerischen Aktivitäten und der Arbeit ihrer verschiedenen Musik-Ensembles.
Quelle:
W. Hengelhaupt: Kleine Chronik des Fachbereichs Musik für die Jahre 1945 bis 1977. In: Erich-Hoepner-Oberschule (Hg.), 50 Jahre. Rückblicke – Einblicke, Berlin 1996